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DH 10/2024 «Geschichte der Kindheit und Jugend»

 Kindsein hat in unterschiedlichen Gesellschaften zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Formen des Schutzes und der Abhängigkeit von Erwachsenen, der Förderung, der Integration aber auch der Marginalisierung von der Gemeinschaft angenommen. In unterschiedlichen Gesellschaften zu unterschiedlichen Zeiten und abhängig von der jeweiligen Schicht war die Zuständigkeit für die Heranwachsenden verschiedenen Erwachsenengruppen zugewiesen. Abhängig vom Geschlecht und damit verbundenen Rollenerwartungen bedeutete Erwachsenwerden Unterschiedliches. Immer aber haben Gesellschaften ihre Erwartungen und Hoffnungen auf die nachwachsende Generation projiziert und mit (eigenen) Kindern Wohlergehen und Glück verbunden. 

Für dieses Dossier fragen wir danach, wie über die Zeit hinweg bzw. in unterschiedlichen Zeiten über Kindheit und Jugend gesprochen wurde, welche gesellschaftlichen Erwartungen unterschiedliche Erziehung und Ausbildung, Berufe, Heiratsentscheidungen, Selbstermächtigung und persönliche Entfaltung ermöglicht haben. Wie auch immer Gesellschaften und ihre Bestimmungen von Privat und Öffentlich ausgesehen haben, waren sie nie eine Garantie dafür, dass Kinder gesund und beschützt in ein gelingendes Leben hineinwachsen konnten. Armut, Krankheit, Stigmatisierung und Ausbeutung waren und sind für einen Teil der Kinder Begleiterscheinungen ihres Heranwachsens und nicht selten prägende Voraussetzungen für ihr Erwachsenenleben gewesen. Die Anforderungen, die sich den nachwachsenden Generationen in unterschiedlichen Gesellschaften und Zeiten gestellt haben, konnten sowohl herausfordernde Verlockungen als auch belastende Hindernisse bedeuten. Dies trifft insbesondere für Zwänge zu, die Kinder zur Arbeit zwangen, denen Kinder in Fremdplatzierung, Waisen und Kinder in der Illegalität ausgesetzt waren. 

Krisenhafte Zustände – etwa durch politische Radikalisierungen, Kriege und die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen, sei es durch mangelnde Ressourcen z.B. durch die Zerstörung von Wäldern, sei es durch aktuelle Bedrohungen durch den Klimawandel und der Verödung der Artenvielfalt – bringen Herausforderungen mit sich, die das Leben der Kinder verarmen und ihre Zukunft gefährden, indem ihre elementaren Rechte beschädigt, Ressourcen ihnen vorenthalten, die existentielle Würde und die Möglichkeiten zur Ausbildung verweigert werden und derart die notwendigen Bedingungen für eine menschliche Existenz nicht gegeben sind. Sie verändern auch das menschliche Verhältnis zur jeweiligen Zukunft. Kinder und Jugendliche müssen unter diesen Bedingungen ihre Fähigkeiten, ihre eigene Zukunft zu denken und an sie zu glauben, ganz besonders mobilisieren. Sie haben und äussern auf unterschiedliche Art und Weise auch bestimmte Erwartungen an die Erwachsenen, an die politischen Kräfte und an die Institutionen. Es sind die Konstruktion und Entwicklung dieser Kategorien und ihrer Repräsentationen, die in diesem Dossier ausgelotet werden sollen.